Wache Nachtwache

15. Januar 2021 0:52 Uhr mein Wecker klingelt mich zur Nachtwache aus meiner schaukligen Lage. Hmmm. Heute habe ich die sogenannte Hundswache. Man sagt so, weil der Typ der von 02 – 04 Uhr in der Früh Wache hat, der arme Hund sei. Mein Name ist Hasen und ich weiss nun, wie sich ein Hund fühlt. Es gibt Schlimmeres.

Im Dunkeln ziehe ich also meine ganze Nachtbekleidung an, damit ich meinen Mann nicht wecke. Gar nicht einfach, da ich auf dem rutschigen Boden hin und her gleite und aufpassen muss, dass ich mich nicht zu sehr stosse. Blaue Flecken habe ich inzwischen zur Genüge. Immer zwischen 10 und 20 in verschiedenen Farben. Der Seegang hat zwar nur noch eine ca. 4 Meter Dünung und Windwellen. Das ergibt aber trotzdem ein Ausbalancieren für Fortgeschrittene.

Nachts sieht man nur die Technik leuchten
Die Technik und die Sterne sind das einzige Licht

Alles wie immer?

Unten am Niedergang (Treppe vom Deck zum Unterdeck) stehend frage ich, wie bei jedem Wachwechsel, Matthias: «Und? Alles ruhig gewesen?» Er sagt nur: «Das Segel ist weg!» Ich verstehe nicht ganz, bekomme aber eine unangenehme Vorahnung. Ob er das gelbe, leichte Vorsegel (Gennaker) meint, welches im Sommer schon einmal ganz oben ausgerissen ist?

Ich stehe nun neben ihm und sehe einfach nur tiefes Schwarz. Es ist gerade Leermond und wegen der Regenwolken sind auch keine Sterne zu sehen. Matthias nimmt den Handscheinwerfer und zündet damit ins…. Nichts. 

Nicht ein Fetzchen Gelb ist zu sehen. Einfach nichts. Auch nichts zu hören, was auf etwas Zerrissenes hindeuten könnte. 

Der Schlaf eines Skippers ist nie tief

Im selben Moment schiebt sich unser Skipper Christof an uns vorbei. Wie immer hat er gehört, dass etwas nicht stimmt und steht in Schlafmontur bei uns. Es habe kurz geknallt. Matthias meinte, dass er nichts gesehen habe, aber plötzlich unsere Fahrt auf 2-3 Knoten zusammengefallen sei. Wir waren davor mit jeweils 7-9 Knoten unterwegs. Also hat er den Schweinwerfer genommen und anstatt satten Gelbs, gähnendes Schwarz vorgefunden. 

Weg zur Bugspitze

Christof und ich ziehen unsere Schwimmwesten mit Sicherungsleinen an und ich sause nochmals zurück in meine Koje und hole meine ausserordentlich starke Stirnlampe. Wir sichern uns beide mit Schlingen an der Lifeline (Sicherungsleine entlang der Yacht) und versuchen ganz nach vorne zum Bug zu gelangen, ohne uns weh zu tun. Ein nächtlicher Sturz ins Meer wäre bei diesem Seegang das Todesurteil. Darum haben Christof und Thomas dieses Sicherungsleine vor der Langfahrt montiert.

Gennaker entdeckt

Christof zieht und reisst wie verrückt an etwas. Im Lichtkegel taucht etwas Gelbes auf. Unser Segel ist noch da! Es muss irgendwas ganz oben passiert sein und unsere Yacht ist momentan über dem Segel und trotzdem noch mit rassigem Tempo unterwegs. Wir zwei reissen und krampfen «wie pickt», um zentimeterweise diese ca. 180 m2 Tuch unter der Yacht hervor zu reissen. Der Schweiss läuft und wir stemmen uns dieser unbändigen Kraft entgegen. Je nach Welle reisst uns der Stoff aber wieder zurück und gefährlich nah zum Wasser bzw. zur Reling hin. Dann heisst es loslassen. Wir wollen ja trotz der Sicherung nicht über Bord gehen.

Evelyn zieht den schweren Gennaker aus dem Meer

Teamarbeit die klappt

Matthias bringt uns kleine Stricke, damit wir die schon geborgenen Tuchanteile an der Reling befestigen können. Das Segel darf weder zurück ins Wasser, noch sich aufblähen. Herumpeitschende Seile könnten schwerste Verletzungen verursachen. 

Nach einiger Zeit haben wir ¾ geborgen und entdecken einen ca. 70cm langen Riss im Tuch. Mist. Dann ist es vorerst nicht brauchbar, ganz egal was sonst die Ursache dieses Vorfalls war.

Das restliche Tuch erwischt Wind und bläht sich auf. Krass!! Nie hätte ich gedacht, dass so wenig Tuch, eine solche Kraft entwickeln kann. Wir zwei müssen enorm aufpassen und packen eine andere Taktik an. Mit direkter Muskelkraft ist es nicht mehr zu bewältigen.

Jeder hilft mit
Kontrolle des Grosssegels

Teamerweiterung

Nun steht der 2. Skipper neben uns. Wie gesagt: Ein Skipperschlaf ist immer oberflächlich. Thomas erfasst die Lage schnell und schaut, wo er noch zupacken kann. 

Eine unerwartete Herausforderung befindet sich nämlich noch im Meer. Dieses Segel hat zuoberst eine Art Schlafsack, welcher über das ganze Segel heruntergezogen werden kann, um es danach ganz einfach im Schiffsbauch zu versorgen. 

Nur befindet sich dieser ca. 22 Meter lange Bergungsschlauch noch im Meer. Wie ein Fisch mit offenem Mund bietet er jeden nur erdenklichen Widerstand. Wir schaffen es zu zweit nicht, auch nur 10 cm davon zu bergen. 

Gennaker geborgen

Zu dritt reissen wir an den zwei Leinen und kriegen so knapp 30cm aufs Deck. Dieses legen wir sofort um die Klampe (metallene Vorrichtung an der Bordkante, um Taue zu fixieren). Vereint schaffen wir es einige Zeit später, weitere Leinen um die Winsch zu legen. Damit können wir nun mit elektrischer Unterstützung an diesen Seilen ziehen (lassen), um den Bergungsschlauch, welcher gerade Wassersack spielt, zu bergen. 

Thomas und Christof binden das komplette Segel an der Bugspitze zusätzlich runter und begeben sich wieder in ihre Kojen. Matthias, welcher uns zusätzlich mit Licht und Schnüren versorgt hatte, meldet sich ab und verschwindet ebenfalls Richtung wohl verdienten Schlaf. 

Wachbeginn

Ich bin nass geschwitzt und trinke einige Schlucke Wasser. Dankbar für das Timing. Genau zum Wachwechsel ist es passiert. Niemand war alleine damit. Wir sind einfach ein super Team. Das denke ich sowieso jeden Tag. Langsam komme ich zur Ruhe, wechsle meine nasse Kleidung und beginne mit dem Logbucheintrag zur aktuellen Position und dem Vorfall. Meine offizielle Wachzeit hat begonnen.

Skipper Thomas zeigt das gerissene Fall

Nachtrag

Die Ursache dieses Schadens war das Reissen des ca. 12mm dicken Falls (Seil welches innerhalb des Mastes hochführt und von oben her das Segel in Position hält). Dies kann vorkommen, da das Material bei Meeresklima schnell altert und der Wind enorme Kräfte entwickeln kann. Wir werden dieses in Martinique ersetzen müssen. Zum Glück haben wir noch ein zweites Fall um den restliche Fahrt mit Vorsegel anzupacken. Wir sind momentan gerade in der Mitte unserer Transatlanktik-Überquerung und es liegt noch etwas eine Woche Nonstop-Segeln vor uns.

Kontrolle des Schadens und die mühsame Umkehr des Bergungsschlauches

Coachingfrage

Was in deinem Leben/ Arbeit sollte wieder mal erfrischt werden, da sich zu viel Routine/ Abnützung eingeschlichen hat und es eventuell bei starkem Druck nicht mehr standhält? Wann beginnst du damit und welches ist der erste Schritt dazu?

Der gelbe Gennaker wurde beschädigt

2 thoughts on “Kap Verden – Karibik | Das Segel ist weg!

  1. Danke, das wir Anteil haben dürfen an Euren Erlebnissen auf dem Meer, sehr spannend.
    Das ist krass was Ihr da geleistet habt und wie Ihr das Segel bergen konntet. Hut ab.
    Für mich wäre Nachtsegeln Nichts, aber tagsüber segle ich sehr gerne, in den letzten Jahren vor allem auf dem Bodensee. In der Karibik war ich von Grenada bis St. Martin, die kleinen Inseln haben mir am Besten gefallen, naturnah.
    Wir freuen uns auf Eure weiteren Nachrichten

  2. Das klingt ja uuh Spannend und Abenteuerlich.
    Leider konnte ich erst jetzt das erste mal von euch hören.
    Etwas hat nicht geklappt mit der Verbindung.
    Wünsche euch jetzt aber allen eine wünderschöne, spannende und gesegnete Weiterfahrt.

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